Baurechtsnovelle & Schallschutz

Oktober 2017, Haus für Weiterbildung, Neubiberg

Am 13. Mai 2017 ist die Städtebaurechtsnovelle und damit das „Gesetz zur Umsetzung der Richtlinie 2014/52/EU im Städtebaurecht und zur Stärkung des neuen Zusammenlebens in der Stadt“ in Kraft getreten. Mit dieser Baurechtsnovelle wurde u.a. ein neuer Gebietstyp eingeführt, das „Urbane Gebiet“ (§ 6a BauNVO). Zudem änderte der Gesetzgeber die Vorschriften zum Schallschutz (TA Lärm).

Am 20. Oktober 2017 fand dazu unter dem Titel „Baurechtsnovelle & Schallschutz“ eine Fachtagung des Planungsverbands Äußerer Wirtschaftsraum München (PV) im Haus für Weiterbildung in Neubiberg statt. Die Fachtagung richtete sich an die Mitarbeiter aus den Bauämtern der PV-Mitgliedskommunen in der Region München.

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Impressionen der Veranstaltung

Auf der PV-Fachtagung „Baurechtsnovelle & Schallschutz“ konnten sich die Teilnehmer – Mitarbeiter aus den Bauämtern sowie auch einige Bürgermeister der Region München – einen Überblick über das neue Gesetz zur Umsetzung der RL 2014/52/EU verschaffen.

Redner und Teilnehmer betrachteten und vertieften unter der Moderation von Marc Wißmann, Leiter Ortsplanung beim Planungsverband Äußerer Wirtschaftsraum München (PV), folgende Fragen:

  • Welche Möglichkeiten eröffnet der neue Gebietstyp bei der Abwägung von Schallschutzfragen?
  • Was ist bei der Abgrenzung zu anderen Gebietstypen zu berücksichtigen?
  • Wie könnten Anwendungsbeispiele aussehen?

Begrüßung

Günter Heyland, Erster Bürgermeister der Gemeinde Neubiberg, eröffnete die Fachtagung im Haus für Weiterbildung in Neubiberg und begrüßte die Teilnehmer. Heyland führte aus, dass das Thema „Urbane Gebiete“ auch die Gemeinde Neubiberg betreffe, die aktuell im Hachinger Tal an einem Strukturkonzept gemeinsam mit der Landeshauptstadt München zusammen arbeite. Dort gehe es um die Themen Wohnen, Gewerbe und Infrastruktur aber auch um Hochwasser- und Schallschutz.

Einführung Baurechtsnovelle

Wesentliche Neuerungen

Vortrag Prof. S. Mitschang

Univ.-Prof. Dr.-Ing. habil. Stephan Mitschang, Professor für Städtebau und Siedlungswesen, Orts-, Regional- und Landesplanung, TU Berlin, gab den PV-Mitgliedern einen Überblick über die wesentlichen Neuerungen der Baurechtsnovelle. Dazu gehören u.a.: Novelle Umwelt-Rechtsbehelfsgesetz; Umsetzung der UVP-Änderungs-RL; Stärkung der Wohnnutzung, insbesondere Einbeziehung von Außenbereichsflächen in das beschleunigte Verfahren; Urbanes Gebiet nach § 6a BauNVO; Ausnutzungsziffern nach § 17 BauNVO sowie Lärmschutzfestsetzungen nach § 9 Abs. 1 Nr. 24 BauGB.

Stärkung der Wohnnutzung

Besonders ausführlich ging er in seinem Vortrag auf die „Stärkung der Wohnnutzung“ ein und erläuterte die Absicherung des Einheimischenmodells gemäß § 11 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 sowie das „in Bayern so beliebte“ beschleunigte Verfahren für die Einbeziehung von Außenbereichsflächen nach § 13b BauGB und die einzelnen Kriterien dafür. Diese sollen den Wohnungsbau erleichtern. So haben Kommunen künftig die Option, Bebauungspläne mit einer Grundfläche von bis zu 10.000 qm für Wohnnutzung im beschleunigten Verfahren aufzustellen. Die Grundstücke müssen an einen im Zusammenhang bebauten Ortsteil anschließen. Prof. Mitschang demonstrierte hierzu einige Anwendungsfälle und legte „wunde Punkte“ bei diesem Gesetz offen. Die neue Regel ist bis Ende 2019 befristet; Mitschang geht jedoch davon aus, dass sie verlängert wird.

Urbane Gebiete

Ein weiterer Schwerpunkt seines Vortrags lag auf der neuen Baugebietsvorschrift in § 6a BauNVO und damit der Einführung der neuen Baugebietskategorie „Urbane Gebiete“ (MU). „Urbane Gebiete dienen dem Wohnen und der Unterbringung von Gewerbebetrieben und sozialen, kulturellen und anderen Einrichtungen, die die Wohnnutzung nicht wesentlich stören. Die Nutzungsmischung muss nicht gleichgewichtig sein“, so der Gesetzestext. Es ist also mehr Wohnungsnutzung als in Mischgebieten möglich und eine stärkere Verdichtung vorgesehen. Ziele dieser neuen Gebietskategorie: in innerstädtischen Lagen soll die Planung eines „funktionsgemischten Gebiets der kurzen Wege“ erleichtert stattfinden können, Vermeidung und Reduzierung von Verkehr und Förderung eines lebendigen öffentlichen Raums. Prof. Mitschang erläuterte die Unterschiede zu anderen Gebietstypen und wies dabei auf die Zweckbestimmung (Wohnen, Gewerbe und soziale sowie kulturelle Einrichtungen) und Besonderheiten des Urbanen Gebiets hin, wie etwa die Möglichkeiten der dichteren Bebauung (GRZ 0,8 und GFZ 3,0).

Parallel dazu wurden die TA Lärm und 18. BImSchV geändert: Immissionsrichtwerte von 63 dB(A) tags und 45 dB(A) nachts gelten seitdem für das Urbane Gebiet. In Urbanen Gebieten darf es tagsüber also lauter werden als bei den sonstigen gemischten Gebieten. Der Schallschutzexperte Rüdiger Greiner (siehe unten) merkte hierzu an, dass der Bedarf nach höheren Immissionswerten allerdings eher während der Nachtzeit bestehe, etwa für Vereinsheime und Restaurants, oder in den Morgenstunden für die Anlieferung von Lebensmitteln in den Supermärkten.

Prof. Mitschang warnte eindringlich davor, hinsichtlich des Urbanen Gebiets „jeden Hype mitzumachen“. Es ist wichtig sich genau zu überlegen, was man machen wolle. Also welches Gebiet zu der gewünschten städtebaulichen Lösung passe und nicht umgekehrt.

Vorträge: Mögliche Anwendungsbeispiele – Urbanes Gebiet

Ehemalige MD-Papierfabrik Dachau – Urbanes Gebiet sinnvoll?

Vortrag Dietmar Sagmeister, Große Kreisstadt Dachau

Beim MD-Gelände in Dachau geht es um ein innerstädtisches Gebiet von 17 Hektar Größe einer ehemaligen Papierfabrik, die im Jahre 2007 ihre Produktion eingestellt hat. Wie kann die Stadt Dachau das Gebiet nun sinnvoll nutzen und planen? Die Stadt Dachau hat einen negativen Pendlersaldo und möchte u.a. mehr Arbeitsplätze im Stadtgebiet schaffen. Dietmar Sagmeister, Abteilung Stadtplanung, Große Kreisstadt Dachau, schilderte in seinem Vortrag die Lage und Historie des MD-Geländes. Er präsentierte auch die Ergebnisse eines städtebaulichen Ideenwettbewerbs. Nun stellt sich die Frage, ob die neue Gebietskategorie Urbane Gebiete hier bei der Planung weiterhelfen kann. „Die Überlegungen sind noch nicht fix“, erläuterte Sagmeister. Der Knackpunkt hierbei sei, ob die Stadt Dachau die durch das Urbane Gebiet (MU) mögliche Mischung überhaupt möchte. In der sich anschließenden Diskussion betonte Prof. Mitschang, dass sich eine derart große Fläche nicht für die Festsetzung eines MU eigne, da sich die bereits geplante innere Gliederung in Wohnen, Gewerbe, Handel und soziale Einrichtungen nicht vorgeben lasse. Ein MU habe eher bereits genutzte Flächen im Blick, nicht eine aufgelassene Fabrik, wie in diesem Falle. Es spreche laut Prof. Mitschang jedoch nichts dagegen, über die gesamte Fläche eine Nutzungsmischung in Form von mehreren Gebietstypen zu legen. Projektleiter Sagmeister bestätigte, dass er sich im Osten an Bahn und Straße eher Gewerbe und an der Westseite mit dem Grünzug und Park eher Wohnen vorstellen könne.

Urbane Gebiete im ländlichen Raum?

Vortrag Marc Wißmann, PV

Marc Wißmann, Leiter Ortsplanung beim PV, wagte in seinem Vortrag einen Denkanstoß zu Urbanen Gebieten im ländlichen Raum der Region München. Er führte aus, was dagegen und was dafür sprechen könnte. Dafür spreche, dass sich eine urbane Lebensform auch auf dem Land finde. „Es gibt immer weniger landwirtschaftliche Betriebe, und der Gebietstyp Dorfgebiet lässt sich daher häufig nicht mehr für die gesamte Ortslage festsetzen“, erläuterte Wißmann. Hingegen seien die Wohnanteile für ein MI oft viel zu hoch und im WA gebe es Probleme mit der TA Lärm. Beim MU ist alles an einem Ort – Wohnen, Arbeiten, Versorgung und Leben (Kultur), ein Ziel, dass auch auf dem Land verfolgt wird. Mögliche Anwendungsfälle in der Region München sieht Wißmann etwa in gut durchmischten, innerörtlichen Lagen von Gemeinden im Stadt-Umland-Bereich mit S-Bahnanschluss und eventuell in Kreisstädten. Zu diesen Gedanken entspann sich eine angeregte Diskussion um konkrete Beispiele und Möglichkeiten.

 

Schallschutz im Städtebau – Grundlagen und aktuelle Entwicklungen

 Vortrag Rüdiger Greiner

Rüdiger Greiner, Geschäftsführer, Ingenieurbüro Greiner PartG mbB, lieferte in seinem Vortrag einen umfassenden Überblick über die Grundlagen der Akustik, die Anforderungen an den Schallschutz sowie die Besonderheiten des Schallschutzes bei der Ausweisung eines Urbanen Gebiets. Der Schallschutzexperte informierte die Teilnehmer über die Gesetzmäßigkeiten und das Rechnen mit Schallpegeln: 3 dB(A) entsprechen einer Geräuschverdopplung oder -halbierung, 5 dB(A) einer -verdreifachung oder -drittlung und 10 dB(A) einer -verzehnfachung bzw. Abnahme auf 1/10. Eine Reduzierung der Geräusche in einem MI oder WA um 10 dB(A) nachts bedeutet also eine Reduzierung auf ein Zehntel des Geräusches. Und da Schall mit Licht vergleich bar ist, heißt dass, das eine 100 Watt-Birne nachts nur noch mit 10 Watt strahlen darf. „Die Anforderungen sind also sehr hoch“, kommentierte Greiner.

Im Urbanen Gebiet habe sich der Gesetzgeber nicht getraut, die Geräuschbelastung von 45 dB(A) nachts zu unterschreiten, denn dieser Immissionsrichtwert garantiere gesunde Wohn- und Schlafverhältnisse. Aus schalltechnischer Sicht habe man mit der Ausweisung eines MU nichts gewonnen, da die Anforderungen an die Nachtzeit so streng sind. 3 dB(A) mehr am Tag „wird ohnehin nicht benötigt“. Dem Thema „Urbanität“ hätte man etwa mit einer Verschiebung der Nachtzeit (ab 23.00 Uhr) eher gerecht werden können. Das hätte mehr Spielraum für Gaststätten, Bürgerhäuser und Vereinsheime gegeben. Dazu komme noch die Anforderung, dass bei Gewerbe-, Sport- und Freizeitgeräuschen der Anspruch auf Schallschutz außen vor der Fassade entsteht (bei unbebauten Flächen 0,5 m vor dem geöffnenten Fenster).